Co-Creation: Gemeinsam kreativ ist produktiv

Warum Co-Creation den Umgang großer Unternehmen mit dem Internet vereinfacht.


Das Internet eröffnet zahlreiche neue Geschäftsfelder. Gleichzeitig hat die Vernetzung das Tempo des Wandels auf allen Ebenen beschleunigt. Gerade große Unternehmen tun sich schwer mit der Allgegenwart des Internets. Auf der einen Seite halten sie an alten Strukturen aus der Vor-Internet-Zeit fest. Auf der anderen Seite wollen sie die neuen Möglichkeiten digitaler Innovation für sich ausschöpfen. Mit Co-Creation, der kreativen Zusammenarbeit von Kunden und Mitarbeitern aus ganz unterschiedlichen Bereichen, finden sie einen Weg aus dem Dilemma. Co-Creation lebt vom kross-funktionalen Team, kommuniziert visuell, entwickelt Lösungen experimentell in einem iterativen Prozess und nutzt Methodiken wie Design Thinking und Scrum.

 

Eine kurze Geschichte über das Scheitern

 

Nach Monaten voller Meetings, Präsentationen und Strategiepapieren ist es endlich soweit: Das neue Online-Projekt soll umgesetzt werden. Die Anforderungen der Abteilung sollen in einem Lastenheft für die IT formuliert werden. Geliefert wird eine kurze Liste mit Feature-Wünschen. Das Kickoff-Meeting für das Projekt wird Monate im Voraus geplant. Wer teilnehmen will, braucht die Zustimmung des Abteilungsleiters. Der wiederum wartet auf den Bereichsleiter, der das Budget freigeben muss. Der Bereichsleiter hält sich bedeckt; im Vorstand munkelt man gerade von einer neuen Strategie. Die Fachabteilung entsendet schließlich ihre Nachwuchskräfte. Niemand versteht wirklich, was die IT-Experten sagen – und umgekehrt ist es ganz genauso. Ein feste Zusammenarbeit von Fachabteilung und Entwicklung kommt nicht zustande. Der Abteilungsleiter will seine MitarbeiterInnen (er nennt sie “Ressourcen”) nicht auf Dauer für das Projekt abstellen. Als eine neue Strategie die Prioritäten verschiebt, kommen neue Anforderungen auf den Tisch. Die Entwickler sagen, dass sie ein halbes Jahr länger brauchen. Die Fachabteilung beauftragt kurzerhand eine externe Entwicklungsfirma. Die Online-Anwendung wird gelauncht – und scheitert. Sie ist nur locker mit der zentralen Website vernetzt. Informationsarchitektur, Interaktionen, Logins, Performanz... Tests mit Nutzern am fertigen Objekt zeigen, dass sich kaum jemand auf der Bedienoberfläche zurecht findet. Und die Version der Entwicklungsabteilung? Sie wird tatsächlich pünktlich fertig und perfekt integriert. Der Wettbewerb hat zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Monaten ein wesentlich besseres Angebot im Netz. Die Kunden sind längst abgewandert... und so weiter und so fort.



Alte Strukturen treffen auf neue Herausforderungen

 

Warum sieht die Praxis in vielen großen Unternehmen heute immer noch so aus? Weil mit dem Internet zwei Welten aufeinanderstoßen: Die alte, langsame Welt der Unternehmensorganisation mit der neuen, schnellen Welt der Online-Vernetzung. Im Internet-Zeitalter ist Massenkommunikation keine Einbahnstraße mehr, sondern ein Dialog in Echtzeit. Das Internet verbindet Unternehmen und Mitarbeiter mit Kunden und Partnern. Und weil im Wettbewerb jeder schneller sein möchte als der andere, ist es auch kein Wunder, dass sich das Internet immer weiter in den Unternehmen ausgebreitet hat. Über die Jahre ist es von der Peripherie einzelner Abteilungen tief in Organisation und Prozesse eingesickert. Aus einfachen Websites wurde komplexe Software, die mit den proprietären Systemen der alten IT-Welt verschmilzt. 

 

Gut möglich, dass wir immer noch am Anfang einer nachhaltigen Internet-Revolution stehen, die unser Leben in ähnlichem Maße verändern wird wie es die Industrielle Revolution im 19. und frühen 20 Jahrhundert tat. Doch die Kräfte des Alten lassen sich nicht so rasch abschütteln. Hierarchische Strukturen, entlehnt aus dem Militär, kultiviert in Adam Smith’s arbeitsteiliger Stecknadelproduktion, ausformuliert in Winslow Taylor’s arbeitswissenschaftlicher Lehre und maschinell automatisiert in Henry Ford’s Fließband haben uns Wachstum und Wohlstand beschert. Im Internet-Zeitalter, das von Wissensarbeit geprägt ist, haben die alten Arbeitsmodelle ausgedient. Trotzdem bestimmen sie nach wie vor die Wirklichkeit vieler Unternehmen. Ihre “Command & Control”-Struktur spiegelt das Modell einer kausalen, linearen Abfolge von Arbeitsschritten. Es trennt zwischen Planern, die vorgeben, was wichtig ist, und Ausführern, die nicht in Frage stellen, was richtig ist. Das Modell erscheint einfach und klar, ist aber auch langsam und schwerfällig, da es die Möglichkeiten von Vernetzung und Echtzeitkommunikation aller Beteiligten unzureichend ausschöpft. Deshalb ist es ungeeignet, wenn es darum geht, das Tempo des Internet für Unternehmen produktiv zu erschließen. 

 

Mit Co-Creation zur digitalen Innovation

 

Unternehmen wollen das Neue digitaler Innovation, um schneller und wettbewerbsstärker zu werden, und sie kleben am Alten, weil es schon immer so war. Co-Creation kann helfen: Schöpferische, kreative Kollaboration oder Zusammenarbeit. Nur dann, wenn alle Akteure von Anfang zusammenarbeiten und gemeinsam an der Eingrenzung, Ausformung und Entwicklung digitaler Innovationen arbeiten, können Unternehmen ihre Potenziale voll für sich erschließen. Gerade am Fuzzy Frontend der Innovation, an dem die strategische Marschrichtung bestimmt wird, ist ein Zusammenwirken von potentiellen Nutzern, Fachabteilungen und Software-Entwicklern von zentraler Bedeutung für den Projekterfolg.

 

Die Einbindung von Kunden und Nutzern in der frühen Findungsphase schützt vor Irrwegen und Fehlannahmen. Ein gemeinsam entwickeltes, von allen Beteiligten getragenes Zielbild des angepeilten Ergebnisses macht zeitintensive Abstimmungen entbehrlich. Das Wissen von Nutzern, Markt- und Technikexperten kann unmittelbar in die Lösung transformiert werden. Das gemeinsame Zielbild ist ein guter Einstieg in eine kontinuierliche Zusammenarbeit über die Grenzen von Abteilungen hinweg. Stabile, kross-funktionale Teams finden einen gemeinsamen Rhythmus, überwinden Konflikte und überbrücken ihre fachliche Barrieren durch gemeinsame Lernerfahrungen. Das Bewusstsein über Dynamik und Werkzeuge des kreativen Prozesses, den das Team miteinander durchlebt, nimmt stetig zu.

 

 

Co-Creation braucht visuelle Kommunikation 

 

Co-Creation beruht auf gelungener Kommunikation. Geschriebene und gesprochene Fachsprache führt hier nur bedingt weiter. Sie macht nicht ausreichend klar, dass das, was bezeichnet wird, auch das ist, was jeder Beteiligte unter dem Bezeichneten versteht. Prototyp? Demo? Scrum? Wireframe? User Experience? Jeder weiß, worum es geht. Oder vielleicht doch nicht? Visualisierungen sind ein Ausweg aus dem Sprachdilemma. Sie stellen Analysen, Probleme und Lösungsansätze in einer universellen Sprache dar, die jeder Beteiligte versteht. Visualisierungen sind die Domaine von Designern. Deshalb können Designer nicht nur bei der Ausgestaltung von Bedienoberflächen digitaler Innovationen einen wertvollen Beitrag leisten, sondern auch bei der Übersetzung von Nutzerbedürfnissen, Prozessen und Zielbildern in visuelle Sprache. Darüber hinaus können Designer Nicht-Designern helfen, Grammatik und Alphabet der visuellen Kommunikation selbst anzuwenden. 

 

 

Co-Creation nutzt Design Thinking

 

Im Ansatz des Design Thinking, einer Innovationsmethode, die sich derzeit sehr schnell verbreitet, hat das Denken in Design breiten Widerhall in Unternehmen gefunden. 

 

Um mehr über den Nutzer und seine Situation zu lernen, ergänzen Design Thinker die klassischen Methoden der quantitativen Marktforschung um qualitative Forschungsmethoden. Aus den Fakten werden prototypische Nutzertypen, sogenannte "Personas", abgeleitet, die als Ausgangspunkt für die weitere Ideenfindung dienen. 

 

Design Thinker arbeiten in kross-funktionalen Teams. Kross-funktional bedeutet, dass Vertreter unterschiedlicher Abteilungen mit verschiedenen fachlichen Hintergründen und Persönlichkeiten in einem Team zusammenarbeiten, um gemeinsam Ideen zu entwickeln („ko-kreativ“) - idealerweise unter direkter Einbeziehung von Kunden und Nutzern. Fachlich sollte das Team in der Lage sein, gleichermaßen die Perspektive von Nutzern und deren Bedürfnissen, die technische Machbarkeit und die Wirtschaftlichkeit einer Lösung zu betrachten. 

 

„Prototypen“ bezeichnen im Design Thinking die grobe Umsetzung der Idee in ein kommunizierbares Artefakt – etwa in Form eines Mock-ups oder Papierprototyps. Prototypen dienen als Mittel der Verständigung. In frühen Tests mit Nutzern helfen sie, frühzeitig wertvolles Feedback zu gewinnen, ohne dass bereits größere Investitionen in Zeit und Geld getätigt werden müssen. 

 

Der kreative Prozess des Design Thinking gliedert sich in drei Hauptphasen: Formulierung des Problems aus Nutzersicht, Ideenfindung und Prototyping. Mehrfache Schleifen und Versionen sind Teil der Design Thinking-Methodik – sie werden "Iterationen" genannt. Aus dem Nutzer-Feedback gewinnt das Team immer wieder neue, zuvor unbekannte Erkenntnisse, um der Lösung Schritt für Schritt näher zu kommen.

 

 

Fazit: Co-Creation braucht das Neue Management 

 

Ausrichtung am Nutzer, iteratives, experimentelles Vorgehen, selbstorganisierte Teams – Design Thinking beruht auf ganz ähnlichen Prinzipien wie Scrum – ein derzeit unter Software-Entwicklern sehr populäres Modell für “agile”, empirische Prozesssteuerung. Deshalb passen beide Ansätze auch hervorragend zusammen. Design Thinking hilft, Zielbilder zu konkretisieren und komplexe Problemstellungen in eine einfache visuelle Sprache zu übersetzen. Agile Entwicklung gibt ko-kreativen Teams einen Rahmen für einen Entwicklungsprozess, der sich flexibel an den tatsächlichen Anforderungen ausrichtet. In beiden Denkmodellen leuchtet das Neue Management auf, das dem Nutzer zuhört und dessen Bedürfnisse in einen Rahmen für die Selbstorganisation ko-kreativer Teams übersetzt. Schritt für Schritt, iterativ wie es seine Natur ist, wird das Neue Management die alten Hemmschuhe der Command & Control-Hierarchien überwinden und Unternehmen zu den neuen Formen der Wertschöpfung führen, die die Internet-Revolution bereithält.

 

Diesen Artikel entstand im Rahmen meiner Teilnahme am drei-tägigen "Magsprint" von New Thinking vom 4. bis 6.4.2013 im Berliner Co-Working-Space "Supermarkt". 

 

Glossar

  • Co-Creation: Schöpferische Entwicklung neuer Lösungen in kross-funktionaler Zusammenarbeit von Kunden und Experten unterschiedlicher Provenienz
  • Command & Control: Anweisen und kontrollieren, Gegenmodell zur agilen Vorgehensweise
  • Design Thinking: Innovationsmethode mit Fokus auf Nutzer, Co-Creation und Prototyping
  • Digitale Innovation: Innovation auf Basis von Software, auch in Kombination mit Hardware. Dabei wird Innovation als eine Neuerung verstanden, die erfolgreich vom Markt aufgenommen wurde. 
  • Fuzzy Frontend: Frühphase eines Innovationsprozesses, gekennzeichnet durch Unsicherheit aufgrund unscharfer Ziele und zahlreicher Entscheidungsoptionen
  • Scrum: Methodik zur empirischen, “agilen” Steuerung komplexer Entwicklungsprozesse, mit dem Ziel, Risiken zu minimieren und die Vorhersagbarkeit zu verbessern. Durch die Selbst-Organisation von Teams und flexible Entwicklungsprozesse sollen in kürzerer Zeit bessere Lösungen entstehen. Besonders populär im Bereich der Software-Entwicklung. "Scrum" kommt aus dem Englischen und bezeichnet ursprünglich eine Startaufstellung im Rugby.

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